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10.09.2007

Glaskunst, Klostersenf und Kirchenmäuse

KREIS ESSLINGEN: Tag des offenen Denkmals gewährt vielfältige Einblicke in die Kirchen

Unter dem Motto „Orte der Einkehr und des Gebets“ widmete sich der diesjährige Tag des offenen Denkmals historischen Sakralbauten. Die Angebote waren vielseitig und für ganz verschiedene Menschen – ob Kinder oder Erwachsene, ob Blinde oder Liebhaber von Glaskunst.

„Sie befinden sich in Klein-Jerusalem“, begrüßte Gudrun Mezger die 20-köpfige Gruppe, die sich um elf Uhr in Denkendorf zur ersten Klosterführung versammelt hatte. Drei Jahrhunderte lang war die Stätte ein Ziel von Pilgern. Die Entstehung der Klosterkirche dauerte Jahrhunderte: Der Turm ist romanisch, die Vorhalle spätromanisch, der Baldachin am Eingang spätgotisch und damit nochmals gut zwei Jahrhunderte jünger. Nicht immer diente das ehemalige Chorherrenstift geistlichen Anliegen, eine Zeitlang wurde hier „Kaufmanns Klostersenf“ produziert. Doch man müsse der Familie Kaufmann dankbar sein, betonte Mezger: „Sie haben hier ihre Rüben gelagert, aber auch zum Erhalt der Gebäude beigetragen.“ In der Unterkirche mit ihrem für den Besucher überraschend hohen Gewölbe findet sich ein symbolisches leeres Grab – ein Hinweis auf die Auferstehung von den Toten.

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Ebenfalls für Pilger von großer Bedeutung war die Jakobskirche in Wendlingen-Bodelshofen. Sie wurde an einem der Pilgerwege ins nordspanische Santiago de Compostella errichtet. Die schönen Wandmalereien in der Kirche aus dem 15. Jahrhundert wurden erst 1964 bei Renovierungsarbeiten entdeckt und freigelegt. Die Fenster der Kirche stammen aus den Jahren 1953 bis 1998 und alle vom Künstler Hans Gottfried von Stockhausen. Den Besuchern am Tag des offenen Denkmals blieb die untere Hälfte der im Jakobusfenster dargestellten Jakobsmuschel verborgen, denn außen hatten Vögel ihr Nest gebaut. Die beschauliche Kirche ist kein totes Denkmal, alle zwei Wochen wird in ihr evangelischer Gottesdienst gefeiert.

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Kirchengemeinderätin Inge Rembold und Kinderkirchmitarbeiterin Karin Steiner luden Kinder ein, die Esslinger Stadtkirche St. Dionys auf ihre eigene Art zu entdecken. Mit Luftballons an Schnüren wurde die Höhe der Kirche vermessen, ein Foto der Stadtkirche war als Puzzle zusammenzusetzen. Wer die acht biblischen Motive des Hauptportals richtig einkleben wollte, musste genau hinsehen. Die Antworten für das Quiz waren in der ganzen Kirche verteilt zu finden. Sie waren auch für Erwachsene lehrreich: Ob wohl jeder von ihnen wusste, dass der Lettner nicht nur Geistlichkeit und Gemeinde trennte, sondern dass von ihm früher auch aktuelle Informationen aus der Stadt verkündigt wurden – als es dafür noch keine Zeitungen gab? Als Souvenir bastelten die jungen Besucher Kirchenmäuse aus Pappe.

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Auf nochmals andere Art erkundeten die Blinden und Sehbehinderten, die auf Initiative des Vereins aus:sicht in die Stadtkirche kamen, das beeindruckende Bauwerk. Mit Stadtführerin Gudrun Silberzahn-Jandt ertasteten sie die Reliefs des Hauptportals und lauschten zwei Orgelstücken von Organist Uwe Schüssler, eines davon mit Einsatz des Fernwerks. Die verschieden geformten Säulen in der Kirche wurden ebenso ertastet wie das Chorgestühl und die bronzenen Verzierungen am Taufbecken. Luftballons halfen beim Erfassen der Höhe der Kirche. Dazu gab es interessante Informationen. Zum Beispiel darüber, dass der Einbau der Fußbodenheizung, der zur Entdeckung der beiden Vorgängerkirchen führte, damals nur mit einer einzigen Stimme Mehrheit geschah. Während die einen die Entdeckung dieser Kirchen erhofft hätten, erläuterte Silberzahn-Jandt, hätten die anderen gerade diese befürchtet – mit einer langen Schließung der Stadtkirche.

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Eine Spezialführung galt den Glasfenstern der Stadtkirche, zu ihr hatten viele ein Fernglas mitgebracht. Kaum zu glauben, dass während der Barockzeit die handwerklichen Kenntnisse zur Reparatur solcher Kunstwerke vorübergehend verloren gegangen war. Heute widmet sich das Esslinger Glasatelier Gaiser und Fieber allen Arten der Glaskunst und Glasmalerei, eine Tätigkeit, die wegen schwermetallhaltiger Farben und des Umgangs mit giftigem Blei äußerste Sorgfalt und Hygiene erfordert. Auf dem Fußweg von der Stadtkirche ins Atelier gab es in der Weststadt für die gut 30 Teilnehmer einige Zwischenstopps, denn hier gab es schöne Jugendstilfenster zu bewundern. „Das Schlechteste, was man einem Fenster antun kann, ist zu vieles Putzen“, warnte Rolf Bay, hatte dabei vor allem scharfe Reinigungsmittel im Blick.

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Dass Pfarrer Peter Rohde seine Mettinger Liebfrauenkirche sehr schätzt, hätte er nicht sagen müssen, denn seiner spannenden Führung war das zu jeder Minute anzumerken. Wie kann es sein, dass eine Kirche vom gleichen Baumeister wie die Esslinger Frauenkirche gebaut wurde, aber dennoch von ganz anderer Gestalt ist? Die Schießscharten erzählen davon, dass sie als Wehrkirche erbaut wurde. Wenn die Freie Reichsstadt Esslingen nicht einzunehmen war, ließen gescheiterte Eroberer ihre Wut gerne in Mettingen aus, zuletzt geschah das 1519. Statisch war der Bau des Mettinger Chors mit dem Turm darüber einst ein großes Wagnis, das durch die Seitenfenster noch erhöht wurde – doch der Bau hatte Bestand. „Faifegrädler“ wird der Turm auch genannt, einen Faifegrädler zum Trinken gab es nach der Führung ebenfalls.





Autor: Peter Dietrich - Eßlinger Zeitung

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